Leseförderung

Das HEIMSPIEL 2025

Lesebegeisterung, Bücherliebe und ein Meerschweinchenrennen

HEIMSPIEL-Schirmherr Christoph Kramer bei seiner Lesung im Berufskolleg Gladbeck. Foto: Anna-Lisa Konrad

In Deutschland ist am 21. November Vorlesetag. Das Ruhrgebiet aber feierte in diesem Jahr eine ganze Woche das Lesen: Im Rahmen des Vorlesefestivals HEIMSPIEL vom Literaturbüro Ruhr stürmten Autorinnen und Autoren von hier fünf Tage lang, vom 17. bis zum 21. November, die Schulen im Revier. Rund 40 Menschen, die für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene schreiben, strömten in Grund-, Haupt-, Real- und Gesamtschulen, Gymnasien und Berufskollegs, um dort Lesefreude zu verbreiten. Kleine, aber wirkungsvolle literarische Interventionen im Schulalltag. Mit mehr als 90 Lesungen wurden bei dieser zweiten Auflage des HEIMSPIELs in Bochum, Dortmund, Essen, Gladbeck und Oberhausen rund 5000 Schülerinnen und Schüler erreicht.

Unter den Vorlesenden: HEIMSPIEL-Schirmherr Christoph Kramer, Fußballweltmeister und Bestsellerautor, kam mit seinem Debütroman „Das Leben fing im Sommer an“. Oder hatte das zumindest vor – denn die Lesung am Berufskolleg Gladbeck begann er mit dem klassischen Schulsatz: „Ich hab das Buch vergessen.“ Machte nichts, die Schule hatte mehrere Exemplare seines Bestsellers da, und so konnte Kramer die rund 50 Azubis der Veranstaltungstechnik zwei Schulstunden lang prächtig unterhalten. Auch, weil er offen davon erzählte, dass er in der Schule „Lesen-Förder“ hatte und seine Liebe zu Büchern erst in seinen 20ern entdeckte. Welches Buch ihn zum Lesen gebracht habe? „Tschick“ von Wolfgang Herrndorf. Lieblingsbuch? „Hard Land“ von Benedict Wells. „Ich sag das nicht nur so“, sagte Chris Kramer, „ich meine das ernst: Lesen ist cool!“.

„Ich sag das nicht nur so, ich meine das ernst: Lesen ist cool!“
Chris Kramer beim HEIMSPIEL

Am Tag drauf bekam die Gesamtschule Weiherheide in Oberhausen zum ehemaligen Fußballprofi Chris Kramer sogar noch einen zweiten dazu. Kramer brachte überraschend seinen Freund Marc Rzatkowski (früher VfL Bochum, Arminia Bielefeld) mit, der gerade ein Meerschweinchenrennen gegen Chris verloren hatte und dafür jetzt die Schullesung vor einer 11. und einer 12. Klasse moderieren musste. Was Rzatkowski erstaunlich gut mit Hilfe eines Spickzettels voller Fragen tat. Trotz der geballten Fußballerpräsenz auf der Bühne ging es auch hier wieder hauptsächlich um die Liebe zum Lesen. An der Gesamtschule Scharnhorst in Dortmund schließlich warteten am HEIMSPIEL-Donnerstag zwei neunte Klassen auf Chris Kramer, die nochmal ganz andere Fragen stellten: „Haben Sie eine Frau?“ oder „Möchten Sie Kinder? Sie wären bestimmt ein toller Vater!“. Als der berühmte Fernsehstar von eigenen schmerzhaften Mobbingerfahrungen in der Schulzeit sprach, wurden die 14- bis 15-Jährigen ganz still.

Das ist die Idee des Vorlesefestivals: Durch Begegnungen mit Autorinnen und Autoren von nebenan ins Gespräch zu kommen, Interesse an deren Geschichten zu wecken, die Freude am Lesen zu entfachen. „Diese Impulse, diese kleinen, aber wirkungsvollen Interventionen, ergänzen den Unterricht und machen den Kindern und Jugendlichen einfach Spaß“, sagt Antje Deistler vom Literaturbüro Ruhr, das das HEIMSPIEL organisiert: „Wer gerne liest, liest mehr. Und je mehr man liest, desto besser wird die Lesekompetenz.“ Dass es während der Lesungen zu Gesprächen über die Inhalte der Bücher oder das persönliche Leben der Gäste kommt, ist dabei durchaus erwünscht.

Autorin und Puppenspielerin Fritzi Bender bei einer ihrer HEIMSPIEL-Lesungen. Foto: Anna-Lisa Konrad

Neben HEIMSPIEL-Schirmherr Chris Kramer setzten mehr als 30 Autorinnen und Autoren aus dem Ruhrgebiet in dieser Woche ebenfalls literarische Glanzlichter im Schulalltag. Berühmte Menschen wie Jörg Hilbert („Vater“ von Ritter Rost), Sarah Jäger (Deutscher Jugendliteraturpreis 2025) oder die Autorin und Puppenspielerin Fritzi Bender und der Poetry-Slammer Sebastian23 unterbrachen den Unterricht, um mit ihren Büchern und Geschichten die Begeisterung fürs Lesen zu schüren. Ganz ohne Notendruck oder Textanalyse, dafür oft nicht nur auf Deutsch, sondern auch auf Arabisch, Türkisch oder Kurdisch. Zum Beispiel mit der preisgekrönten Lyrikerin Lina Atfah aus Syrien, dem kurdisch-deutschen Autor Abdullah Incekan oder Lütfiye Güzel aus Duisburg, deren Familie aus der Türkei stammt.

Antje Deistler, Leiterin des Literaturbüro Ruhr: „An Schulen wird Lesen und Schreiben unterrichtet, Texte analysiert, das sinnentnehmende Lesen eingeübt. Das ist gut und richtig. Die Bildungsforschung zeigt aber, dass Lust am Lesen, die Liebe zu Literatur, dabei oft zu kurz kommt. Genau die verbreiten wir mit dem HEIMSPIEL, mit der ansteckenden Freude der Schreibenden an den Büchern.“

Finanziert wird das HEIMSPIEL durch Projektgelder des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalens und zahlreicher Spenden und Förderungen von Stiftungen und Privatleuten. Das Literaturbüro Ruhr arbeitet bereits am HEIMSPIEL 2026 und hofft weiterhin auf Unterstützung für dieses wichtige Projekt. „Der Bedarf an den Schulen ist sehr hoch, auch dieses Jahr haben wir mehr Anmeldungen bekommen, als wir erfüllen konnten“, so Deistler. Aus ihrer Sicht ist Lese- und Schreibförderung angesichts des steigenden funktionellen Analphabetismus eins der drängendsten Themen in Bildung und Kultur: „In die Leseförderung sollte unbedingt mehr Geld aus dem NRW-Kulturhaushalt fließen! Wir brauchen Planungssicherheit und eine Perspektive für die Kinder und Jugendlichen.“

Autor Bahattin Gemici an der Feldsieper Schule in Bochum.

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