Literatur

Hayırli olsun! Duisburg hat eine Romantrilogie

Fakir Baykurts „Duisburg-Trilogie“ ist endlich auf Deutsch erschienen

Von Karin Yeşilada

Fakir Baykurt mit Leser*innen in der Duisburger Buchhandlung Kaynar 1980. ©Tayfun Demir.

Duisburg hat eine eigene Roman-Trilogie! Welche Stadt im Pott kann das schon von sich sagen?

Drei Romane des türkischen Schriftstellers und Wahl-Duisburgers Fakir Baykurt sind rund vierzig Jahre nach ihrer Entstehung nun endlich ins Deutsche übersetzt worden und erscheinen in der Duisburger Dialog-Edition als wertvolle Ausgabe im Schuber. Dazu gibt es ein Original-Exlibris des Malers und Grafikers İsmail Çoban. Am 23. Todestag des Autors Fakir Baykurt am 11. Dezember 2022 wurde die Trilogie auf einer Lesung in der Duisburger Stadtbibliothek in Anwesenheit der Übersetzer*innen Eva Lacour und Hartwig Mau, des Malers und des Verlags präsentiert.

Mit seiner in den 1980er und 1990er Jahren entstandenen Duisburg-Trilogie, bestehend aus den Romanen Yüksek Fırınlar 1983 (Hochöfen, 2022), Koca Ren 1986, (Vater Rhein 2022) und Yarım Ekmek 1998 (Halbes Brot, 2011), schuf Fakir Baykurt eine Menschenlandschaft türkischer Migrantenfamilien im Duisburg der 1980er Jahre und damit ein Panorama türkischer Einwanderung ins Ruhrgebiet. Gerade die Entstehungsgeschichte dieser Romane von der Abfassung bis zur jetzigen Veröffentlichung aber ist eine spannende Geschichte, die nicht nur etwas über Literatur und ihre Übersetzung, sondern auch über das Ruhrgebiet als kulturelle Einwanderungsregion erzählt.

Fakir Baykurt – ein Schriftsteller auf den Spuren der türkischen Einwanderung

Der Schriftsteller Fakir Baykurt (1929–1999), in den 1960er Jahren ein bedeutender Vertreter der sogenannten türkischen Dorfliteratur, hatte das Leben der Menschen im ländlichen Anatolien zum Thema seines Schreibens gemacht. Der ausgebildete Lehrer war als Vorsitzender des türkischen Lehrervereins und als Gewerkschaftler lebenslang sozialkritisch und politisch engagiert und übertrug das auch in sein literarisches Schaffen. Zu seinem preisgekrönten künstlerischen Werk gehören mehr als ein Dutzend Romane, knapp ein Dutzend Erzählungen, achtbändige Memoiren, mehrere Volksmärchen und Kinderbücher sowie Reiseberichte, Gedichte und Essays. Nur wenig davon ist ins Deutsche übersetzt und das, obgleich ein nicht unwesentlicher Teil seiner literarischen Texte in Deutschland entstanden ist.

Ende der1970er Jahre siedelte Baykurt, auch um Repressalien in seiner Heimat zu entgehen, nach Deutschland über. In seiner neuen Heimat Duisburg arbeitete er als Lehrer für türkischen Unterricht und wirkte als Literat, der über das Schicksal der türkischen Arbeitsmigrant*innen schrieb. Doch lag ihm als Literaturvermittler auch die Heranführung eben dieser türkischen Migrant*innen an die Literatur am Herzen, weswegen er in den 1990er in Duisburg ein vielbesuchtes Literaturcafé gründete, wo regelmäßig Lesungen abgehalten wurden. In seiner Schreibwerkstatt wiederum entstanden erste literarische Texte Duisburger Deutsch-Türk*innen. „Ich bin denjenigen, die vor mir nach Deutschland eingewandert sind, gefolgt,“ sagte Baykurt einmal, „um ihre Geschichten und Romane zu schreiben. Ihr Leben berührt mich.“ Und über seine Hauptfigur aus dem Roman Halbes Brot fügt er an: „Ich fühle mich für Menschen wie Kezik Acar verantwortlich“.

Fakir Baykurt war ein kosmopolitischer Künstler, der in den USA studierte, der Europa, die Sowjetunion und Australien bereiste, und der dennoch zeitlebens das Leben der Menschen aus der Türkei in ihrer Heimat und in der Deutschlandmigration in den Blick nahm: Ihr Schicksal berührte ihn, und ihre Geschichten wollte er erzählen. Damit wurde er zu einem Chronisten der türkischen Migration von Anatolien bis Deutschland, mehr noch, der türkischen Einwanderung nach Duisburg. Die Stadt war für den Autor selbst eine zweite Heimat geworden. Und so waren auch zur posthumen Präsentation der Duisburg-Trilogie etliche Weggefährten Baykurts anwesend.

Foto: Fakir Baykurt und Aziz Nesin am Cumhuriyet Tag 1979 in Duisburg. © Tayfun Demir

Die Duisburg-Trilogie und die Menschen des Literaturbetriebs

Dass Fakir Baykurts literarisches Werk nun endlich auch auf Deutsch erscheint, ist dem Wirken vieler Beteiligter zu verdanken, vor allem aber dem unermüdlichen Bemühen des Verlegers Tayfun Demir. Seit 1976 in Deutschland, orientierte sich der türkische Verlags­inhaber in die politische und kulturpolitische Szene des Ruhrgebiets und machte sich um die Vermittlung türkischer Literatur in Deutschland verdient: Zunächst mit Lesungen und Veranstaltungen und mit einer türkischsprachigen Zeitschrift (Merhaba). Später mit seinem engagierten Wirken in der Duisburger Stadtbibliothek, die er für die eingewanderten Menschen in Duisburg zu einer literarischen Heimat machte. Zusammen mit anderen gründete Tayfun Demir den Verein Dialog e. V. für deutsch-türkischen Dialog, aus dem später der Verlag Dialog-Edition hervorging, in der seit 2008 Literatur des Ruhrgebiets erscheint. Als Referent für interkulturelle Kulturarbeit der Stadt Duisburg wiederum war es sein Anliegen, Baykurts Trilogie herauszubringen; er mobilisierte dafür Fördergelder bei Institutionen und Privatpersonen, und 2011 erschien dann erstmals Halbes Brot in der Übersetzung von Sabine Adatepe auf Deutsch.

Foto: Tayfun Demir (li) und Fakir Baykurt mit Orhan Pamuk (re). Der spätere Literaturnobelpreisträger kam auf Einladung Demirs 1995 zu einer Lesung in der Stadtbibliothek Duisburg. ©Tayfun Demir

Knapp ein Jahrzehnt später, 2020, wurde Tayfun Demir für sein vielseitiges Engagement mit dem Fakir Baykurt-Preis geehrt. Ein Paradox: denn einerseits gab es den Kulturpreis mit dem Namen des Duisburger Autors aus der Türkei, andererseits war dessen Duisburg-Trilogie noch immer nicht erschienen. „Dass Baykurts Romane für die Enkel- und Urenkel-Generation der ‚Gastarbeiter‘ nicht in deutscher Übersetzung zugänglich ist, hat mich immer traurig gemacht“, sagte Demir. Daher nutzte er die die Preisvergabe, um nochmals die Aufmerksamkeit der Kulturbehörde auf die Duisburg-Trilogie zu lenken. Und dieses Bemühen trug schließlich auch Früchte: Während der Duisburger Verein für Literatur die Übersetzung der beiden ausstehenden Trilogie-Bände förderte, stiftete Demir das Preisgeld für die Druckkosten. Der mit Fakir Baykurt langjährig befreundete Maler und Grafiker İsmail Çoban gestaltete dazu nicht nur die einzelnen Buchcover, sondern fertigte für die Edition im Schuber eigens ein Exlibris an.

 

 

So bewirkten der erstmals verliehene Fakir Baykurt Kulturpreis und das Engagement des Literaturvereins also, dass die Romane der Duisburg-Trilogie nun endlich auch für die deutschsprachige Duisburger Leserschaft zur Verfügung steht – hayırli olsun!

 

Foto: Tayfun Demir mit seinen Kindern Elif und Can bei der Preisverleihung 2020. ©Karin Yeşilada

Die Duisburg-Trilogie: Duisburger Menschen in der Literatur

Worum geht es in den Duisburg-Romanen? Zunächst einmal schrieb Fakir Baykurt bereits in den 1980er Jahren Erzählungen über türkische Arbeitsmigranten im Ruhrgebiet. Darin geht es um ihre ganz konkrete Arbeitswelt unter Tage oder in der Fabrikhalle, und häufig genug blickt der Autor dabei kritisch auf die teils prekären Arbeits- und Lebensumstände. In den Romanen der Duisburg-Trilogie gestaltet er ein zusammenhängendes Panorama solcher Geschichten.

Die schwere Arbeit im Stahlwerk ist Thema von „Hochöfen“ (“Yüksek Fırınlar” 1983). Der türkische „Gastarbeiter“ İbrahim schuftet dort hart für sein Geld, und das Glück will sich in der Deutschlandmigration nicht einstellen. Denn obwohl er der Armut in der Türkei entkommen ist, entkommt er doch nicht seinen eigenen Dämonen: İbrahim ist gewalttätig gegenüber den Frauen. Zwei Ehen sind bereits gescheitert, und auch die dritte mit der hochschwangeren Elif geht in die Brüche. Das trägt İbrahim trotz der allgemeinen Arbeitersolidarität harsche Kritik von seinen Landsleuten ein. Kann er sich unter solchen Umständen noch wandeln? Kann Elif sich aus den Zwängen der unglücklichen Beziehung befreien? Die sozialkritischen Tendenzen der 1980er Jahre sind im ersten Band der Roman-Trilogie deutlich spürbar.

„Vater Rhein“ („Koca Ren“, 1986) wiederum lenkt den Blick auf die zweite Einwanderungs­generation, auf die nach Deutschland verfrachteten Kinder. Deren Kindheit und Jugend in der Deutschlandmigration ist einerseits geprägt von Ausgrenzungserfahrungen und Anpassungsschwierigkeiten, andererseits von den politischen Verwerfungen der alten Heimat. Adem, gerade erst 14 Jahre alt, muss um seinen älteren Bruder bangen, dem in der Türkei die Todesstrafe droht. Damit nicht genug, wird er in der Schule gemobbt und abgewertet – eine klassische institutionelle Diskriminierung. Als seine Mutter in die Türkei reist, um eine Amnestie für den Ältesten zu erwirken, bleibt Adem mit dem Vater allein in Duisburg und gerät aufgrund seiner Bekanntschaft mit dem Zuhälter Kenan auf Abwege. Dass aus ihm dennoch kein Duisburger „Kind vom Bahnhof Zoo“ wird, verdankt er letztlich mehreren glücklichen Fügungen. Der im Romantitel erwähnte „Vater Rhein“ aber bleibt eine Konstante in Adems Leben: An seinen Ufern findet der Jugendliche Trost.

Kezik Acar geht in „Halbes Brot“ („Yarım Ekmek“ 1998) gerade in Rente. Doch anders als ihre Landsleute kann sie nicht zurück in die Heimat, denn ihre Kinder haben sich für eine Existenz in Deutschland entschieden. So bleibt auch Kezik und beschließt, die Gebeine ihres vor Jahrzehnten verstorbenen, geliebten Ehemannes aus der Türkei zu sich nach Deutschland zu holen. Ein eigentlich unmögliches Unterfangen. Doch anstatt sich von den Unwägbarkeiten deutscher und türkischer Bürokratie einschüchtern zu lassen, geht Kezik Acar unbeirrt ihren Weg und schafft es am Ende eines großen Abenteuers, ihren Mann ein zweites Mal zu beerdigen. Fakir Baykurt erzählt mit dieser Geschichte eine wahre Begebenheit um die Entstehung des ersten muslimischen Friedhofs in Duisburg– und somit ein Stück Duisburger Stadtchronik. Nicht zufällig finden sich bei der feierlichen Friedhofseinweihung im Roman etliche reale Duisburger Persönlichkeiten wieder, darunter ein gewisser Tayfun Demir…

Literarisches Gedächtnis im Literaturgebiet Ruhr

Und so sind Fakir Baykurts Romanfiguren türkischer Herkunft allesamt echte Duisburger*innen, eingewandert und geblieben. Sie gehören in die Reihe berühmter Duisburger Figuren in Literatur und Film, wir denken etwa an TV-Kommissar Schimanski, dessen Vorfahren einst aus Polen eingewandert waren. Die mutige Kezik Acar hätte gut auch in einem dieser Duisburg-Tatorte mitspielen können, und auch der literarische Showdown aus „Vater Rhein“ ist filmreif. Das ist nicht nur einzigartig für die kulturelle Darstellung der Stadt Duisburg. Baykurts Romane, über die inzwischen auch wissenschaftlich an der Universität Duisburg gearbeitet wird, schreiben sich darüber hinaus ein in das Gedächtnis des Literaturgebiets Ruhr.

Dr. Karin Yeşilada ist interkulturelle Kulturwissenschaftlerin, Moderatorin und Publizistin. Sie arbeitet an der Ruhr-Universität Bochum.

Artikel teilen

Vorheriger Artikel

Dem Schreibheft zum 100sten

Nächster Artikel

Wundert Euch! Die 44. Duisburger Akzente laden zum Staunen ein