Jubiläum

Zum 50. Jubiläum des Fritz Hüser Instituts

Ein Interview mit der Leiterin Iuditha Balint

Das Fritz-Hüser-Institut in Dortmund ©Roland Gorecki

Womit befasst sich das Fritz-Hüser-Institut?

Das ist ein sehr weites Feld. Wir beschäftigen uns mit Allem, was in der Literatur, Kunst und Kultur als Arbeit verstanden wird. Wir haben ein literarisches Archiv, in dem die Vor- und Nachlässe von Autor*innen enthalten sind, die über Arbeitswelten schreiben oder geschrieben haben, unter anderem von Fasia Jansen oder Max von der Grün. Aber das ist nicht alles: Wir haben auch eine Bibliothek zum Thema Arbeit in Literatur, Kunst, Kultur und Forschung. Es ist eine wissenschaftliche Bibliothek mit Belletristik und Forschungsliteratur, in der alles vorhanden ist, was das Herz einer Journalistin oder einer Wissenschaftlerin begehrt, die zum Thema recherchiert.

Hinzu kommen noch die Forschung und Vermittlung. Als Literatur- und Kulturwissenschaftler*innen forschen wir natürlich intensiv zum Thema Arbeit, schreiben Aufsätze, halten Vorträge, geben Bücher heraus, organisieren Tagungen und Sommerakademien, sind in stetigem Austausch mit anderen Wissenschaftler*innen. Zudem sind wir in der Literaturvermittlung und Literaturförderung aktiv: mit Publikationen, Lesungen, Podiumsgesprächen, Creative Writing-Workshops und der Vergabe von Arbeitsstipendien an Schriftsteller*innen, die zum Thema schreiben. Und nicht zuletzt werden wir ab dem kommenden Jahr auch in der Forschungsförderung stärker aktiv sein und einen Wissenschaftspreis zur Förderung herausragender Forschung zur Literatur und Kultur der Arbeitswelt einrichten – was sehr erfreulich ist. Lange Rede, kurzer Sinn: Uns geht es um Arbeit, und das in sechs Bereichen: Archiv, Bibliothek, Vermittlung, Literatur- und Forschungsförderung und Forschung.

Wie kam es zur Gründung des Instituts und wie hat sich der Bestand seit der Gründung des Instituts entwickelt?

Fritz Hüser (1908–1979) war lange Direktor der Stadtbücherei in Dortmund und hat davor schon, eigentlich seit den 1920er-Jahren aus reinem Interesse Arbeiterliteratur gesammelt. Im Lauf der Jahrzehnte wurde nicht nur seine Sammlung immer größer und professioneller, sondern auch sein literarisches Netzwerk. Er kannte beinahe alle Arbeiterschriftsteller*innen persönlich, was für einen Bibliothekar wirklich bemerkenswert ist, der Mitte-Ende des 20. Jahrhunderts nicht in Berlin oder Frankfurt sitzt, sondern im tiefsten Ruhrgebiet. So kam es auch zur Gründung der Dortmunder Gruppe 61, einer Autor*innen-Vereinigung, die sich zur Aufgabe machte, über Arbeit und Arbeitswelten, über Arbeitende zu schreiben. Hüser übergab seine Sammlung 1973 der Stadt Dortmund, die zur Erhaltung und weiteren Beschäftigung mit der Sammlung unser Institut gegründet hat.

Dr. Iuditha Balint ist Literatur- und Kulturwissenschaftlerin und Direktorin des Dortmunder Fritz-Hüser-Instituts. Sie ist Expertin für Literatur und Kultur der Arbeitswelt und beschäftigt sich intensiv mit der Entgrenzung von Arbeit und Freizeit, mit sozialer Herkunft und strukturellen Bedingungen des Literaturbetriebs und des schriftstellerischen Arbeitens. Bevor sie die Leitung des Fritz-Hüser-Instituts übernommen hat, war sie an der Universität Mannheim, University of Virginia, Karls-Universität Prag, Universität Vilnius und Universität Duisburg-Essen tätig.


Der Begriff Arbeit und dessen Verständnis unterliegt einem steten Wandel. Welche Formen von Arbeit nimmt das Fritz-Hüser-Institut in den Blick? Wie hat sich der Arbeitsbegriff und das Verständnis von Arbeit über die letzten Jahrzehnte in der literarischen Auseinandersetzung verändert?

Wer kann schon mit Sicherheit und erschöpfend bestimmen, was Arbeit ist? Erwerbsarbeit kann man klar definieren: Wenn für eine Tätigkeit bezahlt wird, ist sie Arbeit. Diese Orientierung an bezahlten Formen von Arbeit beherrschte lange die Forschung. Es gibt aber auch andere Formen von Arbeit. Die Care-Arbeit, die Eltern leisten. Oder die Arbeit am Körper oder am Selbst. Es kommt also immer darauf an, wie man eine Tätigkeit betrachtet. Betrachtet man etwas als Arbeit, dann spricht man auch so darüber, dass man zum Beispiel Metaphern aus der Arbeitswelt verwendet. Das beste Beispiel ist die der Vorwerk-Werbung von 2003 mit einer Mutter, die sich als „Familienmanagerin“ versteht. Oder auch wenn wir sagen, dass wir an unseren Beziehungen arbeiten. In der Literatur und der Kunst ist es nicht anders: Auch dort ist Arbeit genau das, was als Arbeit umrissen wird. – Und damit bin ich wieder bei deiner Frage angekommen: Am Fritz-Hüser-Institut nehmen wir alle diese Bedeutungen ernst und schauen ganz genau hin, was wann und von wem als Arbeit verstanden wird, denn die Begriffsgeschichte der Arbeit ist genauso wandelbar wie die Arbeit selbst, und die Literatur wie auch die Kunst haben eine sehr gute Sensorik für diese Veränderungen.

Im Rahmen der Jubiläumsfeier anlässlich des fünfzigjährigen Bestehens des Fritz-Hüser-Instituts unter dem Motto „Kritik & Zärtlichkeit“ fand auch eine Podiumsdiskussion statt, die du moderiert hast und die gleichzeitig die Abschlussveranstaltung des diesjährigen 0+1 Festivals für Diversität und Komplexität war. Du hast hierfür mit den Autor*innen Elisa Aseva, Dinçer Güçyeter und Martin Becker über die zeitgenössische Literatur der Arbeitswelt gesprochen. Warum hast du den Titel „Kritik & Zärtlichkeit“ für eure Feier gewählt und weshalb habt ihr euch für diese Autor*innen entschieden? Welche Aspekte von Arbeit verhandeln sie in ihren Texten, die für das Fritz-Hüser-Institut von Interesse sind?

Kritik und Zärtlichkeit sind für mich zwei der prägendsten Eigenschaften der Literatur der Arbeitswelt. Texte wie die von Elisa Aseva, Martin Becker oder Dinçer Güçyeter blicken sehr kritisch auf die Arbeitswelt. Ob es nun die Arbeitswelten von heute oder früher sind, ist dabei egal. Wenn sie angebracht ist, wird Systemkritik geübt. Missstände werden angesprochen und reflektiert: Unfälle, Misshandlungen, Ausgrenzungen, Rassismus, Klassismus, geschlechtsspezifische Gewalt am Arbeitsplatz. Der Blick auf die Figuren ist aber ein zärtlicher. Zärtlich in einem humanistischen, politischen Sinn, der sich auch ästhetisch äußert. Es wird immer wieder auf randständige Figuren herangezoomt, sie werden in ihrer Ohnmachtposition und Zerbrechlichkeit gezeigt. Dadurch entsteht ein hohes Identifikationspotenzial mit den Figuren und ihrer Lage.

Ihr konntet jetzt auf 50 Jahre Fritz-Hüser-Institut zurückblicken: Wie blickst du in die Zukunft des Instituts? Welche Pläne verfolgt ihr in den kommenden Jahren, gerade auch hinsichtlich der öffentlichkeitswirksamen Vermittlung von Inhalten sowie eurer Forschung?

50 Jahre sind eine lange Zeit und meine Vorgänger*innen haben hervorragende Arbeit geleistet. Darauf, und auch darauf, was in den letzten fünf Jahren geschah, können wir gut aufbauen. Das Institut wird inzwischen immer mehr als das gesehen, was es tatsächlich ist: als Forschungsinstitut, das archivisch, bibliothekarisch, vermittelnd, wissenschaftlich und fördernd agiert. Das freut mich sehr, denn es war mir wichtig, einzelne Bereiche auszubauen und das Institut als Ganzes hervorzuheben. So können wir weitermachen und noch professioneller werden, denn die Literatur der Arbeitswelt boomt wie verrückt. Wir bekommen sehr viele Anfragen für Vorträge, Beiträge, Interviews, Kooperationen – und können gar nicht allen nachkommen. Zumal wir ja auch noch unsere eigenen Ideen haben. Daher möchte ich das Institut personell noch stärker auf die Bedürfnisse eines Forschungsinstituts anpassen – und ich möchte viel mehr danach fragen, was bisher nicht oder nicht genug gesehen und erforscht wurde: weibliche, migrantische und Schwarze Perspektiven, Erzählmuster und Erzählformen.

Gerade denke ich über ein langjähriges Projekt zum Werk der Schwarzen Liedermacherin Fasia Jansen nach, deren Nachlass in unserem Archiv ist. Der Antrag steckt noch in Kinderschuhen, wächst und gedeiht aber von Woche zu Woche. Er ist quasi der Vorbote eines intensiven, erkenntnisreichen Arbeitsprozesses, in dem Menschen und Institutionen, Expert:innen und alle Interessierten gemeinsamen nachdenken und agieren können. Im Prinzip ist das genau das, was ich uns wünsche: Arbeit im Kollektiv, Diversität, Inklusion. Ich möchte, dass uns Menschen an ihren Gedanken teilhaben lassen, es interessiert mich, was andere denken, wie andere die Dinge sehen.

 

Das Interview führte Jannick Griguhn

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