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An manchen Tagen, an denen alles seinen Gang geht, baut sich um mich die Angstlandschaft auf.
Sie kommt immer unangekündigt, immer ungefragt, immer schlagartig, plötzlich, mit einem Mal, unvorhergesehen, von heute auf Morgen, aus heiterem Himmel, abrupt, Knall auf Fall, unversehens, unvermittelt, unvermutet, unverhofft, überfallartig und ohne Vorwarnung. Sie ist plötzlich einfach da.
Der Boden, auf dem ich stehe, verfärbt sich dann grau und leuchtende, grüne Schlieren ziehen sich wie biolumineszierende Würmer durch ihn hindurch. Von einem kleinen Kreis um mich herum beginnt die Angstlandschaft in Windeseile zu expandieren, ihr Radius weitet sich um mich herum aus. Ich bleibe ihr Zentrum. Sie durchzieht das Laminat und lässt es weich werden und aufquellen, legt sich auf die Teller und Schüsseln und Schalen, lässt jeden Inhalt verderben. Ich versuche das Ausmaß der Angstlandschaft zu ignorieren, die nun bis an den Horizont reicht.
Mein Kopf beginnt in einem irren Tempo Bilder abzuspielen, die dem absurden Film eines wahnsinnig gewordenen Regisseurs entsprungen zu sein scheinen. Ich schließe die Augen, damit ich diese Bilder nicht sehen muss, doch je fester ich sie zudrücke, desto schneller rasen die grotesken Filmrollen vor meinen geschlossenen Lidern vorbei, werden dabei immer schneller, schneller, schneller, verzerren sich zu Formen und Gesichtern.
Wenn die Angstlandschaft auftaucht, dann bestimmt sie mein Leben.
Aus dem verseuchten Boden erheben sich mächtige Dornenranken, die die zu einem fahlen Lichtring gewordene Sonne über mir verdunkeln. Die Angstlandschaft lässt keine Helligkeit in ihr Reich eindringen.
Jedes Zittern wird zur Nervenkrankheit, jeder Kopfschmerz zum Hirntumor, jedes Muttermal zu schwarzem Hautkrebs. Es gibt keine Fluchtmöglichkeit vor der Angstlandschaft. Sie hält mich in ihrem Reich fest, raubt mir die Vorstellung einer Zukunft. Jedes Ereignis, das in dieser Zukunft stattfinden soll, wird von den Ranken der Angstlandschaft durchstochert, durchbohrt. Alles, was da noch kommt, wird zu einem unberechenbaren Chaoswirbel. Unkontrollierbar, unberechenbar, schwankend, sprunghaft, tückisch, gefährlich.
Die Angstlandschaft raubt den kleinen Momenten des Glücks ihre Bedeutung, legt sich auf die Köpfe der Menschen, die ich liebe, raubt mir das Vertrauen in sie, raubt mir meinen Glauben an die Liebe, an Zusammenhalt und in ein „füreinander da sein“.
Die Angstlandschaft schwächt mich, zehrt mich aus, gibt mir das Gefühl jeglicher Form von Fürsorge nicht wert zu sein. Sie drückt sich als Tinnitus in meine Ohren, als Druck auf meine Augäpfel, als Tremor in meine Finger und als Schwäche in mein Herz.
Alles um mich herum wird bedeutungslos, verliert seinen Wert und gibt mir keinen Halt mehr. Ich stehe allein im Zirkel der Hoffnungslosigkeit und beschwöre aus ihm meine inneren Dämonen.
Ich durchwandere die Angstlandschaft tagelang, versuche ihren Rand zu erreichen, suche das Ende des Pestbodens, obwohl ich weiß, dass alleine die Zeit die Angstlandschaft eindämmen kann.
Dann, nach einigen Tagen, beginnen sich die Dornenranken zu senken. Der Boden verliert seine Verdorbenheit, es beginnen wieder erste Gräser zu wachsen. Die Ringsonne am Himmel wird wieder ausgefüllt, strahlt mir wärmend entgegen. Der Kreis zieht sich wieder zu mir zurück. Der Radius wird kleiner, bis er wieder in mich hineinkriecht, bereit dazu bald wieder auszubrechen. Ich werde müde, lege mich hin, kann endlich einschlafen, ohne dass neben mir Flugzeuge landen müssen. Dann das Zucken des Beines, dumpfer, traumloser Schlaf, ein Augenöffnen.
Es ist ein wundervoller, neuer Morgen.