Jubiläum, Schreibprojekt

Zum Jubiläum der Essener Anthologien

Zum 20. Jubiläum der Essener Anthologien gab es ein großes Fest im Grend. Eine Würdigung von Aleyna Pamuksuz

Aleyna Pamuksuz war lange Mitschreibende bei den Essener Anthologien, hier mit Kazim Birlik im Hintergrund.

Liebe Leserinnen und Leser,

ich bin die Aleyna Pamuksuz. Wie ihr meinem Namen vielleicht schon entnehmen könnt, bin ich als Tochter einer türkischen Familie im Jahre 2000 im schönen Gelsenkirchen zur Welt gekommen. Aktuell studiere ich im noch schöneren Bochum Medizin im 10. Semester. Auch wenn meine berufliche Karriere dem Gebiet der Naturwissenschaften entspringt, schreibe ich leidenschaftlich gerne, seitdem ich denken bzw. den Stift führen kann. Egal ob Texte, Gedichte oder Geschichten. Hauptsache möglichst viele, große, zum Teil positive, aber auch beängstigende Gedanken in Worte fassen, ihnen Form geben, sie greifbar machen.

Die Essener Anthologien habe ich über meine Lehrer Herrn Aydemir und Frau Akgün (hier noch mal ein großes Dankeschön an die beiden) kennengelernt. Ich fand das Konzept, zu einem ganz bestimmten Thema etwas schreiben zu dürfen, was wiederum in einer gebundenen Ausgabe veröffentlicht wird, einfach fantastisch. Ich meine, nichts kommt dem kleinen Traum von mir, Autorin zu werden, näher als dies hier. Die Vorstellung, dass ganz viele Menschen, die mal ausnahmsweise nicht meine Eltern sind, meine Texte lesen würden, war ziemlich aufregend. Im Jahr 2013 schrieb ich dann zum ersten Mal für das Buch „Dann öffnete sich mir die Tür“. Als ich die E-Mail mit der Zusage bekam, konnte ich meinen Augen nicht trauen. Mein Text wurde ausgewählt! Klar, schreiben macht Spaß, aber bin ich auch gut darin? Mein kleines 13-jähriges Ich war es anscheinend. Selbst wenn ich nur von einer Abenteuerreise ins Fantasiereich namens Zuckerland schrieb. Die Menschen würden es lesen und damit meine Gedanken hören. Meine Stimme hören. Und dadurch ein Teil von mir selbst kennenlernen. Ist das nicht toll? Dieses Gefühl war so schön, dass ich die nächsten Jahre nur darauf gewartet habe, was denn wohl das neue Thema wird und wann ich wieder anfangen kann zu schreiben.

Das Problem beim Schreiben ist das Lesen. Besser gesagt das Vorlesen. Plötzlich wurden wir gefragt, ob wir unsere Texte vor einem Publikum vorlesen möchten. Leider gehöre ich zu der Sorte Mensch, die vor größeren Menschenmengen eher aufgeregt ist. Aber man soll sich für gewöhnlich seinen Ängsten stellen, nicht wahr? Daher durfte ich in der Volkshochschule in Essen, an meiner eigenen Schule, am Grillo-Gymnasium Gelsenkirchen, beim Elternverband Ruhr e.V., für den Radiosender Emscher-Lippe und Alex Berlin, auf der Frankfurter Buchmesse und an vielen weiteren tollen Orten lesen. Rückwirkend ist es auch gar nicht so schlimm. Kurz vor dem Auftritt glaubt mein Mediziner-Gehirn doch, dass ich an Tachyarrhythmia absoluta (einer Herzrhythmusstörung) leide. Auch wenn das Lesen in größerer Runde zu Beginn abschrecken kann, würde ich es jedem ans Herz legen, sich zu trauen und es zu versuchen. Es ist eine tolle Erfahrung, selbst wenn man ins Stottern kommt oder es problemlos abliefert.

Schreiben hat für jeden Einzelnen von uns eine andere Bedeutung, und das finde ich faszinierend. Manch einer schreibt und vollbringt dadurch großartige literarische Werke, andere schreiben für sich als eine Art Therapie. Ich denke, Schreiben verbindet uns alle. Solange wir nur nicht damit aufhören, unsere Gedanken und Gefühle miteinander zu teilen, ist es egal, worüber wir schreiben. Und solange wir in einer Welt leben, wo Menschen ihrer Stimme und damit ihrer Identität beraubt werden, dürfen wir nicht aufhören zu schreiben. Wie ich in einem meiner früheren Texte geschrieben habe: „der Stift gehört in meine Hand, und meine Hand könnte nicht ohne diesen Stift. Es wäre wie ein lebenswichtiges Organ zu verlieren. Einfaches Einmaleins.“

Die Teilnahme an diesem Projekt ist nicht nur hilfreich für literarisch Interessierte. Denn auch im Kontext der Schule, z. B. beim Schreiben von Analysen oder Aufsätzen, oder des Studiums mit den nicht enden wollenden Bachelor/Master/- oder Doktorarbeiten lernt man etwas dazu. Man wird sicherer im Formulieren eines Textes, im Strukturieren und Aufschreiben eines Gedankens. Außerdem fühlt man sich schon ein bisschen stolz, wenn zu Hause im Bücherregal Exemplare liegen, in denen der eigene Name vorkommt.

Für alle Interessierten: Probiert es mal aus, denn verlieren tut ihr nichts. Im Gegenteil, vielleicht entdeckt ihr eine neue Leidenschaft, ein verborgenes Talent oder vielleicht habt ihr einfach eine Erfahrung im Leben dazugewonnen. Es ist überhaupt nicht schlimm, wenn einem nicht sofort eine Idee einfällt. Nehmt euch Zeit, lest etwas Schönes, geht spazieren, geht in euch selbst, sprecht mit Freunden und Familie, lasst euch inspirieren! Vor allem scheut euch nicht davor, eure wahren Gedanken und Emotionen zum Vorschein zu bringen. Habt Spaß am Prozess selbst. Wenn ihr kurz in euch geht und darüber nachdenkt: Wie fühle ich mich gerade beim Schreiben? Was macht das mit mir? Dann habt ihr schon eine Menge gelernt, ohne auch nur den Satz zu beenden.

Ich fühle mich sehr geehrt, jahrelang Teil dieses Projektes gewesen zu sein. Auch wenn ich mittlerweile zu alt für die Kinder- und Jugend-Anthologie bin, so hört mein Stift nicht auf zu schreiben. Herzlichen Dank an Herrn Dr. Artur Nickel, der immerzu an mich denkt, sobald eine neue Möglichkeit ansteht, Erfahrungen zu sammeln. Ich meine, wann werde ich wieder in einem Tonstudio stehen und meine selbst geschriebenen Texte aufnehmen, um die eigene Stimme anschließend im Radio zu hören? Außerdem ist es eine große Ehre, auf der Frankfurter Buchmesse, nebenbei gesagt, der größten Buchmesse der Welt, als Autorin das eigene Werk vorstellen zu dürfen. Danke auch an alle Mitwirkenden, die die Essener Anthologie erst ermöglichen! So, die Danksagung hat sich nun ein bisschen so angefühlt, als wäre ich eine echte Autorin. Träume werden wohl wirklich wahr.

Zum 20. Jubiläum des Schreibprojekts Essener Anthologien hat Professor Dr. Ralph Köhnen von der Ruhr-Uni Bochum einen Band mit zahlreichen Beiträgen von Wegbegleiter*innen herausgegeben.

Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Oliver Scheytt, dem Geschäftsführer der Kulturhauptstadt Europas Ruhr 2010.

Geest Verlag, 14,00 Euro

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