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Anneliese „Anna“ Althoff (16.9.1930 – 4.11.2020)
Anna war eine herzliche, kämpferische, großzügige und zutiefst solidarische Freundin.
Ich habe Anna in den 1970er Jahren über Walter Kurowski, KURO, kennengelernt. Es war die Zeit der Chile-Solidarität, die Anna sehr konkret praktizierte, der Anti-Apartheid-Bewegung, der Nelken-Revolution in Portugal. An Annas Wohnungstür am Josefplatz in Oberhausen-Styrum – sie weigerte sich hartnäckig, die neue Bezeichnung „Martin-Heix-Platz“ zu akzeptieren – steckte der Schlüssel Tag und Nacht außen im Schloss. Annas Wohnung war schon damals und blieb über Jahrzehnte eine Art Schaltzentrale der quirligen und stetig wachsenden „Weiberbande“ – mit Fasia Jansen, die, wie Annemarie Stern, hier zeitweise lebte, Lore Hagemann, der Künstlerin Hilde Arlt-Kowski, Tina und Hertha Franzke, Inge van Suntum, der Filmemacherin Christel Priemer, den Dortmunder Hoesch-Frauen, den chilenischen Flüchtlingen Isabel Cárcamo und Pedro Holz und so vielen mehr. Ich erinnere mich an legendäre Kuchenschlachten zu Geburtstagen oder an einem x-beliebigen Tag, an herzhafte politische Diskussionen, an viel Lachen und unglaublich große und echte Solidarität und Hilfsbereitschaft. Für mich als kleine 18jährige waren Anna und ihre Welt eine Offenbarung, die mich bis heute geprägt hat.
Anna hat immer die unterschiedlichsten Menschen um sich gesammelt. Sie war die temperamentvolle Achse, die geborene Netzwerkerin (wenn es den Begriff damals schon gegeben hätte), die Macherin, die Verlegerin, die Aktivistin, die Freundin, die Familienfrau, die alles zusammenhielt, organisatorisch sowieso, aber auch bei Konflikten vermittelnd. Wenn ich sie besuchte, schaffte sie etwa noch mal eben telefonisch ein paar Hindernisse für Fasias Konzerttour aus dem Weg, organisierte Schlafplätze für die Friedensdemo am Wochenende, kochte Kaffee, witzelte über diesen oder jenen Politiker, packte schnell nebenbei Asso-Bücher ein – und wollte genau wissen, wie es mir gehe. Ihr selbst ging es immer gut, obwohl sie seit ihrer Scharlacherkrankung als Kind zeitlebens unter bösem Gelenkrheuma und an Herzproblemen litt. In Annas Leben war fast 90 Jahre lang immer so viel los, dass einem schwindlig werden konnte. Wie hat sie das nur geschafft?
Wenn ich Annas herausragende Eigenschaften oder Verhaltensweisen benennen sollte, würde ich sagen: Mut und Solidarität. Geprägt von den Erfahrungen ihrer Kindheit ziehen sich Mut und Solidarität als roter Faden durch ihr ganzes Leben.
Als 1930 geborenes Kind erlebt Anna Faschismus und Krieg. Ihr Vater Hans, genannt Jan, betreibt eine Druckerei, ist Kommunist und aktiv im Widerstand. Anna ist drei Jahre alt, als er zum ersten Mal inhaftiert wird („Schutzhaft“), weitere Verhaftungen folgen. 1936 ist Hans wieder in Gestapo-Haft, diesmal in Recklinghausen, und um unter der Folter niemanden zu verraten, versucht er, sich beim Verhör mit einem Sprung aus dem Fenster umzubringen. Doch er überlebt schwerverletzt. Später wird er an die Front gezwungen.
Die Mutter, Dorothea, genannt “Dorchen”, ist aktive Antifaschistin und gläubige Katholikin. 1948 wird sie als Ehefrau eines Kommunisten exkommuniziert, worauf sie mit würdevollem Stolz reagiert. Die Situation bei den Althoffs erinnert stark an „Don Camilo und Peppone“ – die Mutter baut an religiösen Feiertagen einen kleinen Altar im Hausflur auf, der Vater stellt die Leninbüste ins Fenster. Verbissenheit und Dogmatismus gibt es nicht in Annas Elternhaus, stattdessen Haltung und persönliche Integrität.
Der Widerstand gegen das Naziregime, die Verfolgung, die Haft, die Bombennächte, die Angst in den Luftschutzbunkern, das Elend – ohne Mut und Solidarität geht gar nichts. Das hat Anna gelernt und nie vergessen. Und wie viele andere junge Menschen will auch sie kaum glauben, dass gleich nach dem Krieg dieselben Nazis wieder mitmischen und die gleichen Besitzverhältnisse restauriert werden. Auch die Remilitarisierung lehnt sie ab. Anna tritt in die Freie Deutsche Jugend (FDJ) ein und setzt sich in einer Jugendgruppe der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) konkret für die Verfolgung von Naziverbrechen ein.
1951, beim Internationalen Festival der Jugend und Studenten in Ost-Berlin, lernen sich Anna und Fasia kennen. Anna ist dort als Mitglied der Niederrheinischen Tanz- und Trachtengruppe der Naturfreundejugend, in der sie viele Jahre aktiv ist, Fasia Jansen als sehr junge politische Sängerin, die sich auf dem Akkordeon begleitet. Eine wunderbare menschliche wie politische Freundschaft entsteht: Anna und die von den Nazis als „unwertes Leben“ geschundene Fasia erkennen sich sofort als Seelenverwandte und bleiben ihr Leben lang eng verbunden. 1952 zieht Fasia von Hamburg nach Oberhausen und wird von Familie Althoff als “fünftes Kind” quasi adoptiert.
1952 wird Anna als Mitglied der gerade verbotenen “Freien Deutschen Jugend” (FDJ) illegaler Aktivitäten angeklagt und 1955 zu sieben Monaten Zuchthaus ohne Bewährung verurteilt. „Strafaussetzung zur Bewährung war nicht möglich, da nicht zu erwarten ist, dass sie sich künftig einer Tätigkeit in der verbotenen FDJ enthalten wird“, heißt es im Urteil. Später wird die Strafe auf sechs Monate reduziert. Jetzt tritt die Oberhausener antifaschistische Gemeinschaft in Aktion: Der damalige NRW-Justizminister, der einige Monate mit dem katholischen Kaplan Otto Kohler, einem Freund der Althoff-Familie, im KZ Dachau gesessen hatte, interveniert zu Annas Gunsten und die Gefängnisstrafe wird 1956 zur Bewährung auf sechs Jahre ausgestellt. Für Anna bedeutet das: sechs Jahre lang ist höchste Vorsicht geboten, denn jede Gesetzesübertretung, sei es beim Autofahren oder bei politischen Aktionen, können sie für sechs Monate ins Gefängnis bringen.
Das hält Anna aber keineswegs davon ab, weiter politisch zu arbeiten. Noch im gleichen Jahr schmuggelt sie sich mit Fasia und anderen verkleidet als Marsbewohner in den Düsseldorfer Rosenmontagszug, um gegen die Remilitarisierung der Bundesrepublik und die Wiedereinführung der Wehrpflicht zu protestieren. Als Anfang der 1960er Jahre im Ruhrgebiet die Ostermärsche losgehen, sind Anna, Fasia und Annemarie Stern, Annas langjährige Freundin aus Berlin, natürlich immer mit dabei. Annemarie Stern schreibt auch das Programm für die Kabarettgruppe Die Pfefferlinge, mit der Anna auf der Bühne steht, unter anderem bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen. Annas heimlicher Traum ist die Schauspielerei, dafür hat sie den Folkloretanz aufgegeben. „Mit dem Besen in der Hand protestiert Anneliese Althoff als Raumpflegerin gegen die Bonner Notstandsgesetzgebung. Die junge Kabarettistengruppe Die Pfefferlinge hat den Mut zur Häßlichkeit, wenn es gilt, den deutschen Bundesbürger aus seinem politischen Halbschlaf zu rütteln“, schreibt die WAZ im Dezember 1966.
Die beiden Frauen drucken ab 1963 Liederhefte im Hosentaschenformat für die Ostermärsche, jedes Jahr ein neues, bis 1969. Die Hefte werden zu Tausenden verkauft und münden im Buch „Lieder gegen die Bombe“, das die beiden mit dem „Werkkreis für Progressive Kunst“ veröffentlichen.