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Von Florian Veelmann
Als Ralf Rothmanns Ruhrgebietsromane in unsere Doppelhaushälfte auf dem Tackenberg einzogen, war ich noch nicht auf der Schule, verstand noch nichts von Romanen, geschweige denn von der Literatur. Erlebte aber, wie die Entdeckung dieser Geschichten unsere Straße, unser Viertel, ganz Oberhausen – eben jene Schauplätze der frühen Romane Rothmanns, an denen er aufgewachsen war – nachhaltig veränderten. Insbesondere mein Vater begab sich auf Spurensuche. An zuvor alltäglichen Orten wurde Halt gemacht, sich gründlich umgeschaut und verkündet: Genau diese Straße, diese Ecke hier könnte er, Rothmann, gemeint haben! All das manchmal unaussprechlich Anmutende oder vermeintlich nicht Erwähnenswerte, das der Pott im Schatten der Haldenberge bereithält, war von dem Mann auf den Suhrkampbänden lesbar und erfahrbar gemacht worden. Die alltäglichen Orte waren plötzlich literarische.
Mehr als 20 Jahre nach dieser zugegebenermaßen sehr persönlichen Entdeckung findet mit der dritten Route der Ralf-Rothmann-Wege ein Projekt sein Finale, das Rothmanns literarisches Oberhausen als auditives Erlebnis zugänglich machen möchte – ungeachtet dessen, ob man auf dem Tackenberg großgeworden ist oder nicht.
Die Spielkinder (Lina, Maja, Till und Nils Beckmann, Charly Hübner, Jennifer Ewert und Sebastian Maier) haben sich, wie schon zu den ersten beiden Routen, im Zentrum und Osten Oberhausens selbst auf Spurensuche begeben, passende Textpassagen aus Rothmanns Werken hörspiel- und hörbuchartig vertont und entlang einer circa sechs Kilometer langen Route Stationen eingerichtet, an denen man per QR-Code in Rothmanns Ruhrpott der Post-Wirtschaftswunderjahre eintauchen kann.
Die finale Route erweist sich noch einmal als Entdeckungstour durch ein Oberhausen abseits von Centro, Kaisergarten und Innenstadt, und präsentiert einen Querschnitt durch Rothmanns Werk, das sich nicht nur auf seine „Ruhrgebietsromane“ beschränkt.
Startpunkt der dritten Route ist der Bahnhof in Sterkrade, einem Stadtteil Oberhausens, aus dem die Zeichen der Industrie mit dem Abriss der Hallen der Gutehoffnungshütte vor 20 Jahren größtenteils verschwunden sind. Nicht unbedingt ein Ort zum Verweilen und doch ein passender Auftakt für die sieben Stationen, die vor einem liegen. Station 1 führt klang- und stimmungsvoll in Rothmanns Sprache ein, in seine teils ulkigen, teils melancholischen Dialoge und in eine Landschaft zwischen überwuchernder Zivilisation und verdrängter Natur. Der Ruhrpott Rothmanns, so wird deutlich, ist ein hoffnungslos wirkender Ort, der dennoch mit Zuneigung betrachtet und beschrieben werden kann. Wie der Protagonist aus „Wäldernacht“ ist man hier Neu- bzw. Wiederankömmling.