Neues aus dem Literaturgebiet

Kopfreisen Verlag: Vom Mut, den Neuanfang zu wagen

Romy Schneider und Tobias Christian Franke bescheren Dortmund einen neuen Verlag per Quereinstieg

Von Sarah Meyer-Dietrich

Raus aus dem Hamsterrad, rein ins Leben. Das ist die Botschaft, die alle Bücher des Dortmunder Kopfreisen Verlags transportieren sollen. Denn er versteht sich als „Verlag für Komfortzonenverlasser, Perspektivwechsler und Kopfreisende“. Noch ist das Verlagsprogramm übersichtlich. Da gibt es das „Journal für neue Perspektiven“, das mit diversen Impulsen und viel Raum für Notizen Mut macht, den eigenen Alltag umzukrempeln. Das autobiografische Buch „Als Rangerin im Politik-Dschungel“ von Maria Henk, ehemals Pressereferentin von Bündnis 90/Die Grünen. Und gerade erschienen: der Roman „Gelegenheiten“ von Romy Schneider. Aber der Kopfreisen Verlag ist ja auch gerade erst 2022 gegründet worden.

Den Neuanfang wagen

Egal ob Sachbuch oder Roman: Immer geht es um Protagonist*innen, die einen Neuanfang wagen. „Wir wollen Geschichten erzählen, die den Menschen Mut machen, ihr Leben so zu leben, wie sie es wollen“, sagt Tobias Christian Franke, der den Verlag gemeinsam mit seiner Partnerin Romy Schneider gegründet hat. Die beiden wissen sehr genau, wovon sie reden. Ist es doch noch gar nicht lange her, dass sie selbst das Hamsterrad der Festanstellung verlassen haben. Über 20 Jahre hat Tobias als Angestellter in der Wohnungswirtschaft gearbeitet. Romy als Kundenberaterin in einer Werbeagentur in Essen. 2018 dann der erste Cut. Eigentlich wollten die beiden bloß ein Sabbatical einlegen, um mit ihrer Tochter auf Weltreise zu gehen. Tobias bekam die Auszeit genehmigt. Romy nicht. „Da habe ich gekündigt“, sagt sie. „Eigentlich hatte ich schon länger keine Lust mehr gehabt auf den Job. Jeder Tag, jedes Jahr war gleich und vorhersehbar. Und dann die tägliche Pendelei zwischen Dortmund und Essen.“

Erst Weltreise, dann Reset

Nach der Weltreise folgte für Romy also der Neustart. „Ich wollte etwas Kreatives machen“, erinnert sie sich. „Sowieso hatte ich schon immer den Traum gehegt, ein Buch zu schreiben.“ Und genau das tat sie. Ihr Debüt „Herz schlägt Kopf“, erschienen im „Wenn nicht jetzt“-Verlag, handelt von der Weltreise, die alles anders machte. Romy begriff: „Ich will mit Büchern arbeiten. Nicht nur als Autorin.“ So bildete sie sich weiter und begann als freie Lektorin zu arbeiten. „Tobias hat immer wieder neidisch zu mir rübergeschielt“, erzählt sie lachend. „Weil er auch etwas machen wollte, das ihn mehr erfüllt.“

So viele spannende Geschichten

„Für den großen Schritt entschieden habe ich mich aber erst, als ich ein zweites Sabbatical nehmen wollte“, erinnert sich Tobias. Dieses Mal stellte sich sein Arbeitgeber quer. Also kündigte auch Tobias, angesteckt von Romys Mut. „Ich wollte wie sie meine Träume leben.“ Ihren gemeinsamen Traum genaugenommen. Als Lektorin hatte Romy bereits ihre Nische gefunden: Manuskripte, in denen es um Neuanfänge geht. „Es gibt so viele spannende Geschichten dazu“, erzählt sie. „Und ich fand es so schade, dass davon nur wenige veröffentlicht werden, weil autobiografische Geschichten es schwer haben, einen Verlag zu finden.“ So kam eins zum anderen. Romy und Tobias beschlossen, mit dem Kopfreisen Verlag genau solchen Büchern ein Zuhause zu geben.

Neuland literaturgebiet.ruhr

„Also bin ich als Quereinsteiger Verleger geworden“, sagt Tobias. „Ich habe immer schon gern Dinge angepackt und organisiert. Romy übernimmt den künstlerischen Part.“ Es macht ihm Spaß, sich auf Neuland zu begeben. Einen Businessplan erstellen. Sich um eine Homepage, Visitenkarten, ein Logo kümmern. Ein erstes Buch drucken lassen … Und vor allem: Kontakte knüpfen und immer wieder neuen Menschen begegnen. So wie im literaturgebiet.ruhr. „Das Netzwerk hat uns von Anfang an toll unterstützt“, berichtet Tobias. „Keine Frage, die wir ins Netzwerk gegeben haben, war zu dumm. Man hat uns gleich auf Augenhöhe wahrgenommen und mit offenen Armen empfangen.“ So haben Tobias und Romy sich viele Tipps und Anregungen geholt. Und geben mittlerweile ihre eigenen Erfahrungen im Netzwerk weiter.

Verwurzelt im Ruhrgebiet

Dass sie den Verlag im Ruhrgebiet gründen, war für die beiden immer klar. Hier steht das Haus, in dem Tobias aufgewachsen ist und in dem die Familie inzwischen in der vierten Generation wohnt. Die benachbarten Städte sind leicht zu erreichen. Es gibt eine große literarische Szene, wie Tobias und Romy schnell feststellten. Groß und dennoch familiär: „Das Ruhrgebiet ist wie ein Dorf“, sagt Tobias. „Man kennt die Akteur*innen im Literaturbetrieb und begegnet sich immer wieder. Und: Man kommt hier weniger mit Pauken und Trompeten um die Ecke. Der Literaturbetrieb besteht aus normalen Leuten. Keiner ist abgehoben oder begegnet dir von oben herab.“

Haifischbecken Literaturbetrieb

Aktuell leben Romy und Tobias von ihren Ersparnissen. Bis der Verlag schwarze Zahlen schreibt, wird es sicher noch etwas dauern. Denn die Konkurrenz mit den großen Verlagen ist eine echte Herausforderung. „Jetzt wollen wir nach und nach organisch wachsen und auch überregional bekannter werden. Wir müssen sichtbar werden im Haifischbecken“, sagt Tobias. Und Romy ergänzt optimistisch: „Wir haben unsere Nische.“ Die Autor*innen haben das offensichtlich auch schon erkannt. Jede Woche erreichen den Verlag neue Manuskripte. „Man muss schon ein bisschen bekloppt sein, um heute einen Verlag zu gründen“, stellt Tobias lachend fest. Natürlich wünscht er sich für die Zukunft mehr Sicherheit und ein finanzielles Polster für den Verlag. „Und viele, viele tolle Bücher, die inspirieren“, sagt Romy. „Man hat nur dieses eine Leben. Trotzdem trauen viele Menschen sich nicht, ihre Träume zu leben.“ Etwas, das Romy und Tobias sich ganz bestimmt nicht vorwerfen müssen.

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