Ausgezeichnet

Literaturpreis Ruhr 2025: fünf Autorinnen für den Hauptpreis nominiert

Die Shortlist ist dieses Jahr rein weiblich

Das Ruhrgebiet bringt großartige Literatur hervor. Und die besten, preiswürdigsten Bücher kommen derzeit offenbar von Frauen. Fünf Romane von Autorinnen hat die Jury des Literaturpreis Ruhr dieses Jahr für den Hauptpreis nominiert. In alphabetischer Reihenfolge:

Çiğdem Akyol: Geliebte Mutter – Canım Annem
„Ich will ihn brennen sehen“, sagt Meryems Mutter Aynur in einem Telefonat und meint ihren Ehemann Alvin. Meryem fürchtet, Aynur könne den Vater wirklich mit Benzin übergießen und anzünden. Denn Gründe hätte die geliebte Mutter nach ihrer langen Zwangsehe genug. Furchtlos und sprachlich virtuos erzählt Çiğdem Akyol von einer Familie zwischen Istanbul und Herne in Almanya, von enttäuschten Hoffnungen, Gewalt – und der großen Sehnsucht nach Freiheit.

Çiğdem Akyol, geboren in Herne, studierte Osteuropäische Geschichte und Völkerrecht in Köln. Nach dem Besuch der Berliner Journalisten-Schule war sie Redakteurin bei der taz in Berlin und später Korrespondentin für die österreichische Nachrichtenagentur APA in Istanbul. Sie veröffentlichte mehrere Sachbücher zum Thema Türkei. „Geliebte Mutter – Canım Annem“, ihr erster Roman, war bereits für den Mara-Cassens-Preis nominiert. Sie lebt in Zürich.

Annika Büsing: Wir kommen zurecht
Nah an den Protagonisten erzählt „Wir kommen zurecht“ von einer fast normalen Familie, die von der psychischen Erkrankung der Mutter beinahe erdrückt wird, und vom achtzehnjährigen Sohn Philipp, der sich entscheiden muss, unsichtbar zu bleiben oder für sich selbst einzustehen. Wieder ist Annika Büsing ein herausragender Coming-of-Age-Roman gelungen; diesmal gewährt sie Einblicke in eine verschlossene Teenagerseele. Ein leises Buch, das noch lange nachhallt.

Annika Büsing ist Lehrerin und Bochumerin. Sie studierte evangelische Theologie und Germanistik an der TU Dortmund und hat einige Zeit auf Island und in Hamburg verbracht. Für ihren ersten Roman „Nordstadt“ (2022) wurde sie mit dem Literaturpreis Ruhr, dem Mara-Cassens-Preis und dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet. Sowohl „Nordstadt“ als auch ihr zweiter Roman „Koller“ wurden für die Bühne adaptiert und an verschiedenen Theatern aufgeführt. „Wir kommen zurecht“ ist ihr dritter Roman.

Ines Habich-Milović: Dein Vater hat die Taschen voller Kirschen
Ines Habich-Milovic ist mit ihrem ersten Roman eine figurensatte Familiengeschichte gelungen, die zwischen Montenegro und dem Ruhrpott Funken schlägt. Ein interkultureller Parforceritt durch die Jahrzehnte, von den Stufen einer orthodoxen Kirche in Montenegro über die Clubs in Bochum in den Achtzigern und Neunzigern hinein in eine europäische Kleinfamilie der Jetztzeit. Das ist plastisch und präzise erzählt, ebenso emotional wie unterhaltsam.

Ines Habich-Milović, in Gelsenkirchen geboren und in Oer-Erkenschwick aufgewachsen, lebt in Recklinghausen. Sie studierte soziale Arbeit in Berlin, Theaterpädagogik an der FH Osnabrück und arbeitete als Dramaturgie- und Regieassistentin am Schauspiel Essen. Als freischaffende Autorin und Regisseurin entwickelt sie dokufiktionale Theaterstücke und Stadtraumerkundungen und gibt Workshops an Schulen und für Unternehmen. „Dein Vater hat die Taschen voller Kirschen“ ist ihr erster Roman.

Judith Kuckart: Die Welt zwischen den Nachrichten
Judith Kuckart ist Schriftstellerin, Regisseurin, Tänzerin und Choreografin. Und so ist ihr Buch „Die Welt zwischen den Nachrichten“ weit mehr als ein autofiktionaler Roman. Es ist eine zarte und gleichzeitig kraftvolle Einladung zu einem poetischen Tanz durch ein „normales“ Leben entlang des großen Weltgeschehens seit den 1960er Jahren – ein Schweben durch die Geschichte, das unweigerlich die eigenen Erinnerungen weckt.

Judith Kuckart wuchs in Schwelm, am Rand des Ruhrgebiets, auf. In Berlin, wo sie heute wohnt, studierte sie Literatur- und Theaterwissenschaften; an der Folkwang-Hochschule in Essen absolvierte sie eine Tanzausbildung. Ihr erster Roman „Wahl der Waffen“ erschien 1990. Es folgten zahlreiche weitere Romane, Erzählungen und Essays. Kuckart wurde mit verschiedenen Literaturpreisen und Stipendien ausgezeichnet. „Die Welt zwischen den Nachrichten“ war bereits für den Wilhelm-Raabe-Preis nominiert.

Mascha Unterlehberg: Wenn wir lächeln
Anto und Jara, zwei Mädchen aus unterschiedlichen Milieus, verbindet eine intensive Freundschaft. Ihre Nächte sind geprägt von rebellischer Euphorie, Alkohol, krimineller Energie – und dem Gefühl, unverwundbar zu sein. Dann verschwindet Anto nach einer Gewalttat, und alles wird neu verhandelt. In knappen Sätzen beschreibt Mascha Unterlehberg mitreißend das Erwachsenwerden zwischen Wut, Schwesternschaft und Sehnsucht.

Mascha Unterlehberg, geboren in Mülheim an der Ruhr, hat Literaturwissenschaften und Kunstgeschichte in Freiburg und Paris studiert sowie Literarisches Schreiben am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. Sie arbeitete an Theatern in Deutschland und der Schweiz, war Finalistin des 27. Open Mike und nahm mit ihrem Debütroman „Wenn wir lächeln“ 2023 am Literaturkurs des Robert Musil Literatur Museums in Klagenfurt teil. Sie lebt in Leipzig.

Welcher Titel am Ende gewinnt, welche Autorin die 15.000 Euro Preisgeld mit nach Hause nimmt, das wird sich erst bei der Verleihungsgala am 10. September im Lehmbruck Museum in Duisburg herausstellen.

Für den Hauptpreis kamen herausragende Titel aus dem Ruhrgebiet und über das Ruhrgebiet infrage, die im Zeitraum vom 1. Mai 2024 bis 30. April 2025 in einem Verlag oder per Selfpublishing erschienen sind. 55 literarische Werke aus unterschiedlichen Genres standen auf der Leseliste der Jury.

Der Literaturpreis Ruhr ist die wichtigste ideelle wie materielle Auszeichnung für Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die im Ruhrgebiet leben, sowie für Autorinnen und Autoren von außerhalb, die über die Region schreiben. Er wird seit 1986 jährlich vom Regionalverband Ruhr vergeben und vom Literaturbüro Ruhr organisatorisch und konzeptionell betreut.

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