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von Maria Wolf, Schauspielerin in Bochum
Anfang März diesen Jahres erhielt ich eine Email, welche mit dem unheilverkündenden Satz begann: „Mein Name ist Aleksandra Protasova, ich bin 27 Jahre alt. Ich komme aus Russland der Stadt Jekaterinburg.“ Normalerweise klicke ich hier schon auf Löschen, denn ich glaube nicht an Verwandte, die mir Hunderttausende von Euros hinterlassen und brauche auch keine Orgasmusverlängerung. Diesmal las ich jedoch weiter. Die Mail stammte von einer jungen Schauspielerin, die mich über das Internet ausfindig gemacht hatte und eine Kollegin suchte, die ihr für eine Theaterproduktion Texte auf Deutsch einsprechen sollte („Da mein Deutsch nur Einsteiger ist, bin ich in dieser Sprache nicht perfekt.“)
Was mich noch ein wenig zögern ließ, war der Stücktitel Führer, befiehl!. Immerhin hatte ich keine Lust, möglicherweise für die AfD mit einen solchen Beitrag viral zu gehen.
Erstmal recherchierte ich also: ja, das Stück von Brigitte Schwaiger gibt es tatsächlich! Und auch eine Schauspielerin mit dem Namen A. P. So nahm ich Kontakt zu ihr auf, stellte fest, dass sie eine reale Person ist mit einem existierenden „VotsApp“- und Facebookaccount. Und eine wunderbar warme und charmante Greta-Garbo-Ninotschka-Stimme hat. Ich sprach voller Begeisterung gleich das komplette Stück als Audiodatei für sie zum Üben ein. Zum Dank sandte sie mir zwei kleine Videos per WhatsApp von den Proben aus der Stadt am Uralgebirge. Allerletzte Ghostingängste verflogen: Ich war verliebt mit einer Fernbeziehung.
Dann kam der Lockdown. Stubenarrest, nicht nur für Künstler*innen.
Ich begann, jeden Abend Geschichten für Kinder über Facebook Live einzulesen. Eine meiner treuesten Followerinnen wurde bald meine russische Brieffreundin, die an einem Kinder- und Jugendtheater in Jekaterinburg arbeitet. Sie schlug vor, ein gemeinsames Projekt auf die Beine zu stellen, vielleicht „Nussknacker und Mausekönig“ von E.T.A. Hoffmann? Erstaunlicherweise kannte und besaß ich diese in Russland sehr beliebte Erzählung nicht, sie schickte mir also per Mail den deutschen Text zu!
Wir entschieden uns für die Projektform Video mit schlichtem Setting: Schwarzes Oberteil vor weißer Wand, jede liest in ihrer Sprache und filmt sich dabei selbst. Meine junge Kollegin begeisterte mich mit ihrer Frische und Leichtigkeit, mit der sie vor der Kamera agierte.