Nachruf

Glückauf, Ludger Claßen!

Ludger Claßen starb nach langer und schwerer Krankheit mit 70 Jahren in seiner Heimatstadt. Er war Germanist, Historiker, Verleger, Kulturschaffender, Netzwerker und so vieles mehr.

Ludger Claßen präsentiert 2014 für eine Social-Media-Kampagne sein Lieblingsbuch des Verlags (c) Kathrin Butt

Ein persönlicher Nachruf von Kathrin Butt

Wer Ludger Claßen im Verlag in der Heßlerstraße besuchen wollte, parkte sein Auto auf dem Parkplatz der ehemaligen Waschkaue der Zeche Fritz, ließ die Indoor-Fußball-Plätze links liegen und folgte einer Zufahrt, die zur rechten Seite des Gebäudes führte. An einer Garageneinfahrt vorbei ging man steile Treppen hoch, bis man zu einer Tür kam. Hinweisschilder auf den Klartext Verlag, K.West und den RevierSport bestätigten, dass man auf dem richtigen Weg war. Weitere unzählige Stufen führten hinauf in die Verlagsräume und ganz am Ende des langen Ganges, vorbei an Büros, arbeitenden Menschen und ihren Geräuschen, kurz vor der Fluchtwegtür, saß links der Verlagsleiter in seinem Büro. Dort fand auch ich mich 2009 zum Vorstellungsgespräch ein. Ich stand in der Tür, Ludger Claßen stand von seinem Platz am Schreibtisch auf, begrüßte mich, gab mir die Hand und fragte, ob ich Kaffee trinken wolle. Nach meinem nervösen Nicken zeigte er auf den Besprechungstisch und ging raus, ich hörte seine Schritte auf dem Gang. Ein Stuhl war frei, die anderen Stühle voller Papierstapel oder Bücher. Das ganze Büro quoll über mit Papier, Mappen, Büchern. Es schien irgendeine Ordnung zu geben, manche Stapel waren hoch, manche kleiner. Er kam zurück, mit zwei Bechern in der Hand, griff ziemlich zielgerichtet meine Bewerbung vom Schreibtisch, befreite einen weiteren Stuhl vom Papier, setzte sich und das Gespräch begann mit der Frage „Warum studiert man Ägyptologie?“. Ich nippte am heißen und für mich ungenießbaren Kaffee, verschluckte mich und antwortete „Warum nicht?“.

So unprätentiös wie die Verlagsräume war auch der Verlagsleiter selbst. Ludger Claßen fing 1985 als Lektor im Klartext Verlag an, wurde 1986 Geschäftsführer und Verlagsleiter und war seitdem Klartext. Er lenkte und leitete den Verlag durch gute und schlechte Jahre, hinter und neben sich ein Team, auf das er sich verlassen konnte und ein Netzwerk aus freien Mitarbeitenden, Autor*innen und Weggefährt*innen. Er war ein Mensch des Ruhrgebiets, tief mit der Region verwurzelt, blieb im stetigen Austausch mit den hiesigen Kulturschaffenden, aber auch der Buchbranche insgesamt und engagierte sich viele Jahre im Börsenverein des Deutschen Buchhandels, lehrte in unzähligen Seminaren beim Börsenverein und an der Universität, was Verlegen bedeutet. Er baute das Verlagsprogramm auf mehrere Standbeine aus, ging neue Wege, probierte Vieles und ließ sich auch von dem ein oder anderen Rückschlag nicht aus der Fassung bringen. Fehler wurden stets als menschlich verziehen und einfach irgendwie behoben, Ludger Claßen war nicht nachtragend. Er gab Autor*innen eine publizistische Heimat und wichtigen Themen eine Bühne. 2007 verkaufte er Klartext an die heutige FUNKE-Mediengruppe, nachdem der Verlag viele Jahre mit den Tageszeitungen Bücher herausgebracht hatte. Er blieb weiter als Verlagsleiter tätig. Für seine Verdienste, den Strukturwandel des Ruhrgebiets nicht nur publizistisch begleitet, sondern auch mitgestaltet zu haben, erhielt er 2010 das Bundesverdienstkreuz. Das machte ihn stolz, der Arbeitsalltag änderte sich dadurch nicht.

Ludger Claßen war bodenständig und packte mit an, baute Büchertische auf, kümmerte sich um Technik und Software im Verlag, um Kalkulationen, Angebote, betreute viele Projekte selbst von A bis Z. Er brauchte kein Vorzimmer, organisierte seine Termine und holte für den Besuch Kaffee. Sein Tag muss mehr als 24 Stunden gehabt haben. Das vermeintliche Chaos im Büro zeugte von dem immensen Arbeitspensum, das er bewältigte. Er war meist vor allen anderen im Büro und ging als Letzter. Kurze Antworten auf lange Fragen waren sein Spezialgebiet, er ließ Platz für kreative Ideen und eigene Entscheidungen, man konnte viel von ihm lernen.

Er war ein Vollblutverleger, wie er im Buche steht. Obwohl er 2015 aus gesundheitlichen Gründen schweren Herzens die Leitung des Klartext Verlags abgeben musste, war er bis Ende 2022 noch Geschäftsführer des K.West-Verlags und als Honorarprofessor an der Universität Duisburg-Essen tätig. Bis zuletzt war Ludger Claßen ein Malocher, dessen Leistungen man nicht genug würdigen kann und der eine Lücke hinterlässt.

Und trotz aller Begeisterung für Bücher und das Ruhrgebiet und das, was er während seines Arbeitslebens geleistet hat: Ich habe Ludger Claßen nie glücklicher gesehen als in den Momenten, wo er von seiner Familie und besonders von seiner Enkelin sprach, von Urlauben, gutem Essen mit guten Freund*innen, von Wochenenden voller Gartenarbeit und einer scheinbar nie enden wollenden Jagd auf einen Maulwurf.

Er hinterlässt Familie und enge Freund*innen und meine Gedanken sind ganz bei ihnen.

Ludger Claßen 2013 vor der ehemaligen Lohnhalle der Zeche Fritz an der Heßlerstraße. Foto: Ulrich von Born/ WAZ FotoPool

Kathrin Butt ist seit dem 1. Juni (zusammen mit Achim Nöllenheidt) Verlagsleiterin des Klartext Verlags und außerdem bei den Ruhrpoeten aktiv.

Artikel teilen

Vorheriger Artikel

Festivaltag “Bollwerk meets“

Nächster Artikel

Sven Hensel bei STROBO:Stimmen